by Andreas Vogeler | 05.05.2022
Vorverlegung der Abflugzeit als Annullierung? EuGH Urteil vom 21.12.2021 – C-263/20 (Airhelp)
Leitsatz
Art. 2 Buchst. l und Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 sind dahin auszulegen, dass ein Flug als „annulliert“ zu betrachten ist, wenn das ausführende Luftfahrtunternehmen ihn um mehr als eine Stunde vorverlegt.
Sachverhalt
Zwei Fluggäste buchten über eine elektronische Buchungsplattform einen Flug des ausführenden Luftfahrtunternehmens Laudamotion von Palma de Mallorca (Spanien) nach Wien (Österreich). […]
Der ursprünglich für den 14. Juni 2018 um 14.40 Uhr vorgesehene Abflug des gebuchten Fluges wurde vom ausführenden Luftfahrtunternehmen um mehr als sechs Stunden auf 8.25 Uhr vorverlegt.
Airhelp, der die beiden Fluggäste ihre etwaigen Ausgleichsansprüche nach der Verordnung Nr. 261/2004 abtraten, erhob Klage beim Bezirksgericht Schwechat (Österreich). Sie machte geltend, das ausführende Luftfahrtunternehmen schulde für die beiden Fluggäste gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung insgesamt 500 Euro, weil der betreffende Flug um mehr als sechs Stunden vorverlegt worden sei; darüber seien die Fluggäste erst am 10. Juni 2018, vier Tage vor dem planmäßigen Abflug, über die Buchungsplattform informiert worden.
Verfahrensgang
Das Landesgericht Korneuburg (Österreich) als Berufungsgericht möchte wissen, ob die Vorverlegung eines Fluges eine „Annullierung“ im Sinne der Verordnung Nr. 261/2004 darstellt und welchen Umfang die Informationspflicht des ausführenden Luftfahrtunternehmens hat.
Entscheidung
Der EuGH führt aus, dass der Begriff „Annullierung“ in Art. 2 Buchst. l dieser Verordnung definiert wird als „die Nichtdurchführung eines geplanten Fluges, für den zumindest ein Platz reserviert war“. Der Begriff „Flug“ werde in der Verordnung nicht definiert. Nach ständiger Rechtsprechung bestehe ein Flug jedoch aus einem „Luftbeförderungsvorgang, der somit in gewisser Weise eine ‚Einheit‘ dieser Beförderung darstellt, die von einem Luftfahrtunternehmen durchgeführt wird, das die entsprechende Flugroute festlegt“ (Urteil vom 4. Juli 2018, Wirth u. a., C‑532/17, EU:C:2018:527, Rn. 19).
Ferner habe der Gerichtshof ausgeführt, dass die Flugroute ein wesentliches Element des Fluges ist, der nach einem vom Luftfahrtunternehmen im Voraus aufgestellten Flugplan durchgeführt wird (Urteil vom 19. November 2009, Sturgeon u. a., C‑402/07 und C‑432/07, EU:C:2009:716, Rn. 30).
Zudem ergebe sich aus der Definition in Art. 2 Buchst. l der Verordnung Nr. 261/2004 nicht, dass die „Annullierung“ eines Fluges im Sinne dieser Bestimmung über den Umstand hinaus, dass der ursprünglich vorgesehene Flug nicht durchgeführt wurde, eine ausdrückliche Entscheidung erfordert, ihn zu annullieren (Urteil vom 13. Oktober 2011, Sousa Rodríguez u. a., C‑83/10, EU:C:2011:652, Rn. 29).
Art. 2 Buchst. l und Art. 5 Abs. 1 der Verordnung regele zwar nicht, wie die Vorverlegung eines Fluges zu behandeln ist. Insoweit nehme die in Art. 5 Abs. 1 Buchst. c Ziff. ii und iii vorgesehenen anderweitigen Beförderungen auf Fälle der Vorverlegung eines Fluges Bezug. Daraus ergebe sich, dass keine Pflicht zur Zahlung von Ausgleichsleistungen bestehe, wenn der Fluggast mit der Ersatzbeförderung nicht mehr als eine bzw. zwei Stunden vor der planmäßigen Abflugzeit abfliegt und sein Endziel höchstens vier bzw. zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit erreicht.
Daraus sei abzuleiten, dass der Unionsgesetzgeber anerkannt habe, dass mit der Vorverlegung eines Fluges auch erhebliche Unannehmlichkeiten verbunden sein können, da diese ihnen die Möglichkeit nehme, frei über ihre Zeit zu verfügen und ihre Reise oder ihren Aufenthalt nach Maßgabe ihrer Erwartungen zu gestalten. Den Fluggast zwinge die Vorverlegung dazu, erhebliche Anstrengungen zu unternehmen, um seinen Flug zu erreichen.
Zur Abgrenzung zwischen einer erheblichen und einer unerheblichen Vorverlegung eines Fluges seien die in Art. 5 Abs. 1 Buchst. c Ziff. ii und iii der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehenen Schwellenwerte heranzuziehen.
Aus Art. 5 Abs. 1 Buchst. c Ziff. iii der Verordnung gehe hervor, dass eine Vorverlegung um eine Stunde oder weniger geeignet ist, das ausführende Luftfahrtunternehmen von seiner Verpflichtung zu einer Ausgleichszahlung an den Fluggast gemäß Art. 7 der Verordnung zu befreien. Somit ist davon auszugehen, dass es für die Feststellung, ob die Vorverlegung für die Zwecke der Anwendung von Art. 5 der Verordnung erheblich oder unerheblich ist, darauf ankommt, ob sie mehr als eine Stunde beträgt oder geringer ist.
Anmerkung
Die Entscheidung fügt sich in die bisherige Judikatur des EuGH zur Sicherung eines hohen Schutzniveaus für Fluggäste ein. Die Entscheidung zeigt die Lückenhaftigkeit der Fluggastrechteverordnung auf. Die Fluggastrechteverordnung selbst regelt ausgehend von der Legaldefinition ausdrücklich nur den Fall, dass ein geplanter Flug, für den ein Sitzplatz reserviert war, nicht durchgeführt wird (vgl. Art. 2 lit. i VO (EG) 261/2004). Bei unbefangener Lesart dürfte jeder Normadressat diese Vorschrift so interpretieren können, dass bei einer Vorverlegung eines geplanten Fluges, dieser Flug nicht als annulliert anzusehen ist, sondern lediglich zeitlich verschoben wird. Gleichwohl nimmt der EuGH eine Annullierung des Fluges an und begründet dies mit dem „planerischen Element“ des Fluges. Der EuGH strebt insoweit eine Abgrenzung zwischen bloßer Änderung der Flugplanung und Aufgabe der Flugplanung an. Die Annahme, dass die Vorverlegung eines geplanten Fluges ab einer Stunde unabhängig von der geplanten Abflugzeit stets mit einer vollständigen Aufgabe der Flugplanung gleichzusetzen sei, wirkt – auch wenn die Gründe hierfür nachvollziehbar sind – befremdlich. Richtigerweise dürfte es die Aufgabe des europäischen Gesetzgeber sein, die Vorverlegung eines Fluges und die daraus resultierenden Rechte und Pflichten von Fluggast und Fluggesellschaft ausdrücklich zu regeln. Mit dem bloßen Verweis auf Art. 5 Abs. 1 lit. c Ziff. ii, iii VO (EG) 261/2004 und dem daraus abgeleiteten „gesetzgeberischen Willen“ legt der EuGH seine Auslegungskompetenz seinerseits sehr weit aus. Die Annahme, dass die Vorverlegung eines Fluges um 1 Stunde mit einer Nichtdurchführung des Fluges gleichzusetzen ist, könnte nach deutschem Verständnis gar als unzulässige Auslegung contra legem bewertet werden.
Die Entscheidung hat nicht nur wirtschaftliche Folgen für die Fluggesellschaften (Verpflichtung zu Ausgleichsleistungen gem. Art. 7 VO (EG) 261/2004, Anspruch auf Ticketrückerstattung, Art. 8 Abs. 1 lit. a VO (EG) 261/2004), sondern führt auch zu den Informationspflichten gem. Art. 14 VO (EG) 261/2004.
Ein Verstoß gegen jene Informationspflichten aus Art. 14 VO (EG) 261/2004 ist in Deutschland bußgeldbewährt. Vorverlegungen eines Fluges von über einer Stunde, über die der Fluggast nicht mindestens 14 Tage vor Abflug informiert wurde, und wenn der Fluggast nicht über seine Rechte informiert wurde, erfüllen damit einen Ordnungswidrigkeitstatbestand, ohne dass dies der zugrundeliegenden Rechtsgrundlage entnommen werden konnte. Jene Konsequenzen lässt der EuGH bei seiner Entscheidung leider unberücksichtigt.
by Andreas Vogeler | 05.05.2022
Verschiebung der Abflugzeit als Annullierung? EuGH Urteil vom 21.12.2021 – C-395/20 (Corendon Airlines)
Art. 2 Buchst. l und Art. 5 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs‑ und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 sind dahin auszulegen, dass ein Flug nicht als „annulliert“ im Sinne dieser Bestimmungen angesehen werden kann, wenn das ausführende Luftfahrtunternehmen dessen Abflugzeit ohne sonstige Änderung des Fluges um weniger als drei Stunden verschiebt.
Sachverhalt
Die betreffenden Fluggäste buchten über die Internetplattform „Check24“ eine Pauschalreise. Ihre Buchung wurde von Corendon Airlines, dem ausführenden Luftfahrtunternehmen, für einen Flug bestätigt, der am 18. Mai 2019 von Düsseldorf (Deutschland) nach Antalya (Türkei) mit einer planmäßigen Abflugzeit um 13.20 Uhr und einer planmäßigen Ankunftszeit am selben Tag um 17.50 Uhr durchgeführt werden sollte.
In der Folge verschob Corendon Airlines diesen Flug unter Beibehaltung der Flugnummer und setzte die neue Abflugzeit auf 16.10 Uhr und die neue Ankunftszeit auf 20.40 Uhr am 18. Mai 2019 fest; darüber unterrichtete sie die betreffenden Fluggäste neun Tage vor Beginn des Fluges. Der geänderte Flug verzögerte sich; der Abflug erfolgte um 17.02 Uhr und die Landung um 21.30 Uhr am 18. Mai 2019.
Die betreffenden Fluggäste verlangten von Corendon Airlines Ausgleichszahlungen in Höhe von jeweils 400 Euro nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 261/2004.
Entscheidung
Der EuGH stellt einleitend fest, dass der Begriff „Annullierung“ in Art. 2 Buchst. l der Verordnung Nr. 261/2004 definiert werde als „die Nichtdurchführung eines geplanten Fluges, für den zumindest ein Platz reserviert war“.
Der Begriff „Flug“ werde in der Verordnung nicht definiert. Nach ständiger Rechtsprechung bestehe ein Flug jedoch aus einem „Luftbeförderungsvorgang, der in gewisser Weise eine ‚Einheit‘ dieser Beförderung darstellt, die von einem Luftfahrtunternehmen durchgeführt wird, das die entsprechende Flugroute festlegt“ (Urteil vom 4. Juli 2018, Wirth u. a., C‑532/17, EU:C:2018:527, Rn. 19).
Überdies habe der Gerichtshof entschieden, dass annullierte und verspätete Flüge zwei klar getrennte Kategorien von Flügen darstellen. Aus der Verordnung lasse sich daher nicht ableiten, dass ein verspäteter Flug allein deshalb als „annullierter Flug“ eingestuft werden kann, weil die Verspätung, sei sie auch erheblich, länger gedauert hat (Urteil vom 19. November 2009, Sturgeon u. a., C‑402/07 und C‑432/07, EU:C:2009:716, Rn. 33).
Werden Fluggäste mit einem Flug befördert, dessen Abflugzeit sich gegenüber der ursprünglich vorgesehenen Abflugzeit verzögert, kann der Flug daher nur dann als „annulliert“ angesehen werden, wenn das Luftfahrtunternehmen die Fluggäste mit einem anderen Flug befördert, dessen ursprünglicher Flugplan von dem des ursprünglich vorgesehenen Fluges abweicht (Urteil vom 19. November 2009, Sturgeon u. a., C‑402/07 und C 432/07, EU:C:2009:716, Rn. 35).
Der Umstand, dass den betreffenden Fluggästen die Änderung der Abflugzeit mehrere Tage im Voraus angekündigt wurde, habe für sich genommen keinen Einfluss auf die Unterscheidung zwischen den Begriffen „Verspätung“ und „Annullierung“.
Es liefe der herkömmlichen Bedeutung der Begriffe der Verordnung Nr. 261/2004 und ihrer Systematik zuwider, wenn man davon ausginge, dass eine mehrere Tage im Voraus angekündigte Verschiebung eines ansonsten unveränderten Fluges um weniger als drei Stunden eine „Annullierung“ im Sinne von Art. 2 Buchst. l der Verordnung darstellt.
Anmerkung
Am gleichen Tag entschied der EuGH mit Urteil vom 21.12.2021 – C-263/20 (Airhelp), dass die Vorverlegung eines geplanten Fluges um eine Stunde mit einer Annullierung gleichzusetzen sei. Eine zeitliche Verschiebung des Fluges um weniger als 3 Stunden nach hinten sei demgegenüber nicht mit einer Annullierung gleichzusetzen.
Der Argumentation des EuGH ist zuzustimmen. Es handelt sich bei Verspätungen und Annullierungen um eindeutig voneinander zu trennende Kategorien. Für eine Gleichstellung von einer großen Verspätung mit einer Annullierung kommt es nach bisheriger Rechtsprechung des EuGH nicht auf eine Ankündigung einer Verspätung, sondern auf die tatsächliche Ankunftsverspätung an. Dies dürfte allerdings auch bedeuten, dass bei kurzfristigen Flugzeitänderungen (< 14 Tage) für die Berechnung einer Ankunftsverspätung die ursprünglich geplante Flugzeit und nicht die geänderte Flugzeit maßgeblich ist.
by Andreas Vogeler | 19.02.2022
Die Luftfahrtindustrie war schon in der jüngeren Vergangenheit von Krisen heimgesucht worden. Zu denken ist an den Terroranschlag vom 11. September 2001, die weltweite Wirtschaftskrise 2008/2009 oder an die Vulkanaschewolken des Vulkans Eyjafjallajökull im Jahre 2010. Keine jener vorangegangen Krisen dürfte allerdings in ihren Auswirkungen auf die Luftfahrtindustrie mit der aktuellen Corona Pandemie vergleichbar sein. Gepaart mit dem am 14.07.2021 postulierten European Green Deal der Europäischen Kommission Fit for 55, wonach die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55% im Vergleich zu 1990 gesenkt werden sollen, stellt diese Krise die Luftfahrt vor nie da gewesene Herausforderungen. So sahen sich Luftfahrtunternehmen seit Beginn des Jahres 2020 gezwungen ihre Flugoperationen bis auf weiteres teilweise vollständig einzustellen mit der Folge, dass die Fluggäste sich millionenfach an die Fluggesellschaften wendeten, und um Erstattung der Flugtickets baten. Die zugleich schwindende Buchungsnachfrage riss ein riesiges Loch in die Budgethaushalte zahlreicher Airlines, deren Überleben nur durch staatliche Beihilfen gesichert werden konnte.[1] Die Frage, wie Fluggesellschaften und Flughäfen trotz Umsatzeinbußen und Existenzbedrohungen die Ziele des Europäischen Green Deals erreichen sollen, ist derzeit noch unbeantwortet. Nach Vorhersagen von Eurocontrol wird voraussichtlich erst im Jahre 2024 das Niveau des Verkehrsaufkommens aus 2019 wieder erreichen:
Quelle: https://www.eurocontrol.int Stand: 06.01.2021
Ticketrückerstattungen als juristischer Problemkreis der Pandemie
Aus juristischer Sicht hat die Pandemie deutlich gezeigt, dass der europäische Gesetzgeber bei Schaffung der Fluggastrechteverordnung VO (EG) 261/2004 vom 17. Februar 2005 keine weltweite Pandemie vor Augen hatte.
Eine Rückerstattung der Flugscheinkosten binnen 7 Tagen, wie es die Fluggastrechtverordnung in Art. 8 Abs. 1 lit. a VO (EG) 261/2004 vorsieht, war aufgrund nicht mehr vorhandener personeller Ressourcen nicht möglich. Dass die Nichteinhaltung dieser Frist zugleich gemäß § 58 Abs. 1 Nr. 13 LuftVG i.V.m. § 108 Abs. 2 Nr. 2 LuftVZO, §§ 30 Abs. 1, 130 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG in jedem Einzelfall bußgeldbewährt ist, erscheint in diesem Zusammenhang äußerst unglücklich.
Wer ist alles Schuldner?
Hinzu kommt, dass die Rückabwicklung des Beförderungsvertrages, d.h. der Rückfluss der Zahlungsströme keineswegs eindeutig geregelt ist und die vorhandenen Regeln mit Blick auf die Komplexität der Vertragsverhältnisse zu kurz greifen. Dem Fluggast steht es grundsätzlich frei, ob er seinen Rückerstattungsanspruch auf seinen vertraglichen Rückforderungsanspruch aufgrund der erfolgten Annullierung stützt oder auf die Fluggastrechteverordnung. In erstem Fall ist der Vertragspartner passiv legitimiert, in letzterem Fall ist das ausführende Luftfahrtunternehmen zu adressieren. Ein gut beratender Fluggast wird außergerichtlich beide Wege gehen. Der Vertragsparner ist regelmäßig das ticketausstellende Unternehmen. Dies kann ein Konsolidator oder eine Airline sein. Wurde der Flug durch mehrere verschiedene Luftfahrtunternehmen ausgeführt, weil dieser aus mehreren Teilstrecken bestand, so haftet nach der Rechtsprechung des EuGH zusätzlich jedes teilausführende Luftfahrtunternehmen auf den gesamten Flugpreis (Urteil vom 11.7.2019 – C-502/18. CS u.a. v. Ceské aerolinie). In der Praxis vereinnahmt allerdings das vertragliche Luftfahrtunternehmen den Flugpreis für seinen Flugabschnitt oftmals nur, wenn der Fluggast den Flug auch antritt. So kann es im Falle einer Annullierung vorkommen, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen eines Teilabschnittes den Flugpreis gar nicht erhält, jedoch die gesamten Flugscheinkosten erstatten muss. Mangels gemeinsam genutzter Buchungssoftware ist für die Schuldner oftmals auch nicht erkennbar, ob ein anderer Schuldner bereits auf die Forderung des Fluggastes gezahlt hat, sodass die Gefahr von Mehrfachzahlungen besteht und etwaige Regressansprüche der ausführenden Luftfahrtunternehmen im Innenverhältnis leerlaufen.
Wer ist Anspruchsinhaber?
Ein juristisch weiterhin ungeklärtes Problemfeld begründet die nicht geregelte Aktivlegitimation für den Rückzahlungsanspruch, wer der eigentliche Anspruchsinhaber der Erstattungsforderung nach Art. 8, Abs. 1 lit. a erster Spiegelstrich VO (EG) 261/2004 ist. Im Falle von Ausgleichsleistungen ist dies unumstritten der Fluggast selbst. Bei Ticketrückerstattungen wird diskutiert, ob der Anspruch dem einzelnen Fluggast, dem Buchenden oder dem Zahlenden zusteht. Lediglich das individuelle Wahlrecht des einzelnen Passagiers auf Erstattung des Flugpreises oder auf eine anderweitige Beförderung, ist in der Verordnung geregelt. Oftmals ist damit unklar, an wen Fluggesellschaften die Erstattung zu leisten haben.
Mit Blick auf die erwähnte 7-Tages-Frist entspricht es in der Regel dem Interesse der Fluggesellschaft, die Zahlung an den Buchenden vorzunehmen, da dessen Kontakt- und Zahlungsmittel aufgrund des Buchungsvorganges bereits bekannt ist und so eine einfache und schnelle Rückabwicklung erfolgen kann (so z.B. AG Wedding Urteil v. 17.08.2021 – 14 C 601/20; AG Wedding Urteil v. 19.10.2021 – 14 C 652/20). Jene Rückzahlungsmodalität wird meist bereits im Beförderungsvertrag geregelt. In der Rechtsprechung wird teilweise mit Blick auf Art. 15 Abs. 1 VO (EG) 261/2004 die Auffassung vertreten, dass eine solche Regelung unwirksam sei, weil die Forderung dem Fluggast persönlich zustehe. An Komplexität gewinnt dieser Problemkreis, wenn der „Buchende“ ein Reisevermittler war und die Fluggesellschaft die Ticketrückerstattung an den Reisevermittler vornahm, dieser jedoch die Zahlung entgegen Art. 6.3 der IATA Resolution 896 an den Fluggast gar nicht oder außerhalb der 7-Tages-Frist weiterleitete.
Schlussfolgerungen
Eine dringend notwendige EuGH-Entscheidung zur Frage der Aktivlegitimation fehlt bisher. Auch eine Reform der Fluggastrechteverordnung im Bereich der Ticketrückerstattungen zeichnet sich derzeit nicht ab. Eine Hilfestellung kann die Entscheidung des LG Berlin (Urteil v. 29.11.2019 – 101 O 93/19) geben. In dem zugrundeliegenden Verfahren hatte das Landgericht über die Klausel einer durch uns vertretenen Fluggesellschaft zu entscheiden, nach der sinngemäß ‚Erstattungen entweder auf das ursprüngliche Zahlungsmedium oder auf ein anderes Zahlungsmedium, jedoch ebenfalls an den Buchenden erfolgen, wenn das ursprüngliche Zahlungsmedium nicht mehr zur Verfügung steht.‘ Das LG Berlin urteilte, dass diese Klausel wirksam sei und die Regelung tatsächlich nur darauf abziele, „die Beklagte dahingehend abzusichern, an die richtige Person Rückzahlungen zu leisten.“
[1] Zu den damit einhergehenden Wettbewerbsfragen, siehe z.B. Urteil des EuG v. 14.07.2021, Rs. T-677/20.