Erstattung von Flugscheinkosten

Ticketrückerstattungen

Die Luftfahrtindustrie war schon in der jüngeren Vergangenheit von Krisen heimgesucht worden. Zu denken ist an den Terroranschlag vom 11. September 2001, die weltweite Wirtschaftskrise 2008/2009 oder an die Vulkanaschewolken des Vulkans Eyjafjallajökull im Jahre 2010. Keine jener vorangegangen Krisen dürfte allerdings in ihren Auswirkungen auf die Luftfahrtindustrie mit der aktuellen Corona Pandemie vergleichbar sein. Gepaart mit dem am 14.07.2021 postulierten European Green Deal der Europäischen Kommission Fit for 55, wonach die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55% im Vergleich zu 1990 gesenkt werden sollen, stellt diese Krise die Luftfahrt vor nie da gewesene Herausforderungen. So sahen sich Luftfahrtunternehmen seit Beginn des Jahres 2020 gezwungen ihre Flugoperationen bis auf weiteres teilweise vollständig einzustellen mit der Folge, dass die Fluggäste sich millionenfach an die Fluggesellschaften wendeten, und um Erstattung der Flugtickets baten. Die zugleich schwindende Buchungsnachfrage riss ein riesiges Loch in die Budgethaushalte zahlreicher Airlines, deren Überleben nur durch staatliche Beihilfen gesichert werden konnte.[1] Die Frage, wie Fluggesellschaften und Flughäfen trotz Umsatzeinbußen und Existenzbedrohungen die Ziele des Europäischen Green Deals erreichen sollen, ist derzeit noch unbeantwortet. Nach Vorhersagen von Eurocontrol wird voraussichtlich erst im Jahre 2024 das Niveau des Verkehrsaufkommens aus 2019 wieder erreichen:

Quelle: https://www.eurocontrol.int            Stand: 06.01.2021

Ticketrückerstattungen als juristischer Problemkreis der Pandemie

Aus juristischer Sicht hat die Pandemie deutlich gezeigt, dass der europäische Gesetzgeber bei Schaffung der Fluggastrechteverordnung VO (EG) 261/2004 vom 17. Februar 2005 keine weltweite Pandemie vor Augen hatte.

Eine Rückerstattung der Flugscheinkosten binnen 7 Tagen, wie es die Fluggastrechtverordnung in Art. 8 Abs. 1 lit. a VO (EG) 261/2004 vorsieht, war aufgrund nicht mehr vorhandener personeller Ressourcen nicht möglich. Dass die Nichteinhaltung dieser Frist zugleich gemäß § 58 Abs. 1 Nr. 13 LuftVG i.V.m. § 108 Abs. 2 Nr. 2 LuftVZO, §§ 30 Abs. 1, 130 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG in jedem Einzelfall bußgeldbewährt ist, erscheint in diesem Zusammenhang äußerst unglücklich.

Wer ist alles Schuldner?

Hinzu kommt, dass die Rückabwicklung des Beförderungsvertrages, d.h. der Rückfluss der Zahlungsströme keineswegs eindeutig geregelt ist und die vorhandenen Regeln mit Blick auf die Komplexität der Vertragsverhältnisse zu kurz greifen. Dem Fluggast steht es grundsätzlich frei, ob er seinen Rückerstattungsanspruch auf seinen vertraglichen Rückforderungsanspruch aufgrund der erfolgten Annullierung stützt oder auf die Fluggastrechteverordnung. In erstem Fall ist der Vertragspartner passiv legitimiert, in letzterem Fall ist das ausführende Luftfahrtunternehmen zu adressieren. Ein gut beratender Fluggast wird außergerichtlich beide Wege gehen. Der Vertragsparner ist regelmäßig das ticketausstellende Unternehmen. Dies kann ein Konsolidator oder eine Airline sein. Wurde der Flug durch mehrere verschiedene Luftfahrtunternehmen ausgeführt, weil dieser aus mehreren Teilstrecken bestand, so haftet nach der Rechtsprechung des EuGH zusätzlich jedes teilausführende Luftfahrtunternehmen auf den gesamten Flugpreis (Urteil vom 11.7.2019 – C-502/18. CS u.a. v. Ceské aerolinie). In der Praxis vereinnahmt allerdings das vertragliche Luftfahrtunternehmen den Flugpreis für seinen Flugabschnitt oftmals nur, wenn der Fluggast den Flug auch antritt. So kann es im Falle einer Annullierung vorkommen, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen eines Teilabschnittes den Flugpreis gar nicht erhält, jedoch die gesamten Flugscheinkosten erstatten muss.  Mangels gemeinsam genutzter Buchungssoftware ist für die Schuldner oftmals auch nicht erkennbar, ob ein anderer Schuldner bereits auf die Forderung des Fluggastes gezahlt hat, sodass die Gefahr von Mehrfachzahlungen besteht und etwaige Regressansprüche der ausführenden Luftfahrtunternehmen im Innenverhältnis leerlaufen.

Wer ist Anspruchsinhaber?

Ein juristisch weiterhin ungeklärtes Problemfeld begründet die nicht geregelte Aktivlegitimation für den Rückzahlungsanspruch, wer der eigentliche Anspruchsinhaber der Erstattungsforderung nach Art. 8, Abs. 1 lit. a erster Spiegelstrich VO (EG) 261/2004 ist. Im Falle von Ausgleichsleistungen ist dies unumstritten der Fluggast selbst. Bei Ticketrückerstattungen wird diskutiert, ob der Anspruch dem einzelnen Fluggast, dem Buchenden oder dem Zahlenden zusteht. Lediglich das individuelle Wahlrecht des einzelnen Passagiers auf Erstattung des Flugpreises oder auf eine anderweitige Beförderung, ist in der Verordnung geregelt. Oftmals ist damit unklar, an wen Fluggesellschaften die Erstattung zu leisten haben.

Mit Blick auf die erwähnte 7-Tages-Frist entspricht es in der Regel dem Interesse der Fluggesellschaft, die Zahlung an den Buchenden vorzunehmen, da dessen Kontakt- und Zahlungsmittel aufgrund des Buchungsvorganges bereits bekannt ist und so eine einfache und schnelle Rückabwicklung erfolgen kann (so z.B. AG Wedding Urteil v. 17.08.2021 – 14 C 601/20; AG Wedding Urteil v. 19.10.2021 – 14 C 652/20). Jene Rückzahlungsmodalität wird meist bereits im Beförderungsvertrag geregelt. In der Rechtsprechung wird teilweise mit Blick auf Art. 15 Abs. 1 VO (EG) 261/2004 die Auffassung vertreten, dass eine solche Regelung unwirksam sei, weil die Forderung dem Fluggast persönlich zustehe. An Komplexität gewinnt dieser Problemkreis, wenn der „Buchende“ ein Reisevermittler war und die Fluggesellschaft die Ticketrückerstattung an den Reisevermittler vornahm, dieser jedoch die Zahlung entgegen Art. 6.3 der IATA Resolution 896 an den Fluggast gar nicht oder außerhalb der 7-Tages-Frist weiterleitete.

Schlussfolgerungen

Eine dringend notwendige EuGH-Entscheidung zur Frage der Aktivlegitimation fehlt bisher. Auch eine Reform der Fluggastrechteverordnung im Bereich der Ticketrückerstattungen zeichnet sich derzeit nicht ab. Eine Hilfestellung kann die Entscheidung des LG Berlin (Urteil v. 29.11.2019 – 101 O 93/19) geben. In dem zugrundeliegenden Verfahren hatte das Landgericht über die Klausel einer durch uns vertretenen Fluggesellschaft zu entscheiden, nach der sinngemäß ‚Erstattungen entweder auf das ursprüngliche Zahlungsmedium oder auf ein anderes Zahlungsmedium, jedoch ebenfalls an den Buchenden erfolgen, wenn das ursprüngliche Zahlungsmedium nicht mehr zur Verfügung steht.‘ Das LG Berlin urteilte, dass diese Klausel wirksam sei und die Regelung tatsächlich nur darauf abziele, „die Beklagte dahingehend abzusichern, an die richtige Person Rückzahlungen zu leisten.“

[1] Zu den damit einhergehenden Wettbewerbsfragen, siehe z.B. Urteil des EuG v. 14.07.2021, Rs. T-677/20.

Annullierung

05.05.2022,

Vorverlegung der Abflugzeit als Annullierung? EuGH Urteil vom 21.12.2021 – C-263/20 (Airhelp)   Leitsatz Art. 2 Buchst. l und Art. 5...

Annulierung

05.05.2022,

Verschiebung der Abflugzeit als Annullierung? EuGH Urteil vom 21.12.2021 – C-395/20 (Corendon Airlines) Art. 2 Buchst. l und Art. 5 Abs. 1...

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