Haftung bei Stürzen im Krankenhaus und in Pflegeeinrichtungen

Haftungsfragen

11.03.2022,

Orientierungssätze:

  1. Bei erkannter oder erkennbarer Selbstschädigungsgefahr darf ein an Demenz erkrankter Heimbewohner, bei dem unkontrollierte und unkalkulierbare Handlungen jederzeit möglich erscheinen, nicht in einem – zumal im Obergeschoss gelegenen – Wohnraum mit unproblematisch erreichbaren und einfach zu öffnenden Fenstern untergebracht werden. Ohne konkrete Anhaltspunkte für eine Selbstgefährdung besteht hingegen keine Pflicht zu besonderen (vorbeugenden) Sicherungsmaßnahmen (BGH, Urt. v. 14.1.2021 – Az. III ZR 168/19).
  2. Durch die Auswirkungen des Betäubungsverfahrens auf die vitalen Funktionen kann der Patient nach Anästhesien im Zusammenhang mit diagnostischen oder therapeutischen Eingriffen noch für einige Zeit akut gefährdet sein. Stürze in dieser Phase der akuten Gefährdung müssen verhindert werden und werden dem Bereich des voll beherrschbaren Risikos zugeordnet (LG Dortmund, Urt. v. 4.3.2021 – Az. 4 O 152/19).

Welche Verpflichtungen zur Sicherung von Patienten/Patientinnen bzw. Bewohnern/Bewohnerinnen trifft die jeweilige Einrichtung, um Stürze zu vermeiden? Mit dieser Frage beschäftigten sich unlängst sowohl der BGH als auch das Landgericht Dortmund. In dem Fall, über den der BGH zu entscheiden hatte, war ein Demenzpatient in einer Pflegeeinrichtung aus einem Fenster seines Zimmers im 3. OG gestürzt. Die schweren Verletzungen führten trotz mehrerer Operationen drei Monate später zum Tod des Mannes. Die Ehefrau machte daraufhin einen Anspruch auf Schadensersatz aus übergegangenem und abgetretenen Recht geltend. Die Kernaussage des III. Senats aus Karlsruhe war, dass Patienten, die an Demenz erkrankt sind, im Falle einer erkannten oder erkennbaren Selbstschädigungsgefahr nicht im Obergeschoss mit leicht erreichbaren, einfach zu öffnenden Fenstern untergebracht werden dürfen. Dies sei jedoch keine allgemeingültige Feststellung, vielmehr müsse immer im Einzelfall eine Beurteilung der Gefahren und Krankheitsbilder erfolgen, wobei entscheidend sei, ob wegen der körperlichen oder geistigen Verfassung des Bewohners aus der ex-ante-Sicht ernsthaft damit gerechnet hätte werden müssen, dass er sich ohne Sicherungsmaßnahmen selbst schädigen könnte. Schon die Gefahr, deren Verwirklichung nicht als sehr wahrscheinlich angesehen werden, deren Eintritt jedoch besonders schwere Folgen hervorrufen kann, kann zu Sicherungspflichten auf Seiten der Einrichtung führen.

Im Gegensatz dazu behandelte der Fall, der vom Landgericht Dortmund entschieden wurde, die Frage, welche Sicherungsmaßnahmen von Seiten eines Krankenhauses postoperativ im Aufwachraum erfolgen müssen, um Verletzungen der Patienten zu verhindern. Der Patient hatte sich für die Durchführung eines kleineren Eingriffs im Krankenhaus befunden. Nach der Operation stürzte der Patient im Aufwachraum aus dem Bett und zog sich dabei schwere Verletzungen am Rückenmark zu (inkomplette Querschnittssymptomatik mit Tetraparese), was eine intensivmedizinische und monatelange Behandlung erforderlich machte. Es verblieben schwerwiegende gesundheitliche Beeinträchtigungen. Der Patient machte neben einem Anspruch auf Schmerzensgeld auch einen Anspruch auf Haushaltsführungs-/Pflegemehrbedarfsschaden geltend. Das Landgericht stellte fest, dass ein Sturz eines noch unter dem Einfluss von Narkosemitteln stehenden Patienten im Aufwachraum ein für das Krankenhaus voll beherrschbares Risiko darstelle. Stürze in dieser Phase der akuten Gefährdung gelte es durch Schutzmaßnahmen von Seiten der Klinik zu verhindern. Verwirklicht sich – wie hier in dem Sturz ohne jegliche Schutzreflexe aufgrund der Nachwirkungen der Narkose – ein Risiko, das von der Behandlungsseite voll hätte beherrscht werden können und müssen, so muss sie darlegen und beweisen, dass sie alle erforderlichen organisatorischen und technischen Vorkehrungen ergriffen hatte, um das Risiko zu vermeiden (§ 630h Abs. 1 BGB). Diesen Nachweis konnte die Krankenhausseite nicht führen. Zwar war die Besetzung des Aufwachraums mit zwei Angestellten nicht zu beanstanden. Wenn sich allerdings alle vorhandenen Pflegekräfte – hier sogar beide Zeuginnen, sei es auch aus Anlass des Anlernens – aus dem Aufwachraum entfernen, muss in diesem Zeitraum dennoch für den Schutz der Patienten im Aufwachraum gesorgt sein. Ein Anbringen von Bettgittern war aus Sicht des Landgerichts in so einer Situation möglich und geschuldet. Vorliegend gab es aber die organisatorische Anweisung, Bettgitter nur zu benutzen, wenn Patientin unruhig sind. Eine solche organisatorische Anweisung, Bettgitter nur bei unruhigen Patienten anzubringen, sei aber nach der zuständigen Arzthaftungskammer auch unter dem Gesichtspunkt der Freiheitsberaubung nicht zu erklären. Gegen eine kurzzeitige Sicherung eines grundsätzlich sturzgefährdeten Patienten, der offensichtlich schutzbedürftig ist, weil er nicht bei Bewusstsein und damit nicht „Herr seiner Sinne“ ist, bestehen rechtlich keinerlei Bedenken.

Nachweise:

BGH, Urt. v. 14.1.2021 – Az. III ZR 168/19

LG Dortmund, Urt. v. 4

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