Rechtzeitigkeit der Aufklärung – oder: Wann ist die Einwilligungserklärung zu Frühzeitig?

Rechtsprechung

30.06.2022,

OLG Bremen Grund- und Teilurteil v. 25.11.2021 – 5 U 63/20

Der Kläger wurde von seinem behandelnden HNO-Facharzt im Hinblick auf eine mögliche Operation der Ohren (Mastoidektomie) in die HNO-Klinik der Beklagten überwiesen und dort in der Ambulanz am 28.10.2013 behandelt. Dort berichtete er Prof. Dr. N. von chronisch rezidivierenden Ohrenentzündungen und Paukenergüssen. Dieser riet dem Kläger zunächst zur Operation der Nasen-Septum-Plastik zur Optimierung der Nasenluftpassage sowie einer sich daran in zeitlichem Abstand von 6-8 Wochen anschließenden Mastoidektomie. Am 1.11.2013 unterzeichnete der Kläger die Operationseinwilligung für die Nasen-Septum-Plastik. Am 4.11.2013 wurde der Kläger stationär aufgenommen und der Eingriff zur Begradigung der Nasenscheidewand sowie eine vollständige Nasennebenhöhlenoperation durch den Oberarzt Dr. P. durchgeführt. Unter der OP trat eine stärkere arterielle Blutung auf. Postoperativ war der Kläger nicht erweckbar. Im CT zeigte sich eine Hirnblutung. Bei der daraufhin erfolgten neurochirurgischen Intervention wurde festgestellt, dass es bei der ersten OP zu einer Duraverletzung, der Verletzung der vorderen Hirnschlagader und zu einer Durchtrennung des Riechnervs links gekommen war. Der Kläger wurde intubiert und beatmet auf die Intensivstation verlegt und im Folgenden neurochirurgisch behandelt. Im weiteren Verlauf entwickelte er eine systemische Entzündungsreaktion des Körpers und wurde am 8.11.2013 erneut operiert. Es folgten weitere stationäre und ambulante Behandlungen in anderen Kliniken in den Jahren 2014 und 2015 sowie ergotherapeutische Behandlungen.

Das OLG konnte keine Behandlungsfehler feststellen, gab der Klage aber gleichwohl – dem Grunde nach – statt, weil die Einwilligungserklärung des Klägers nach Auffassung des OLG unwirksam sei. Da nach § 630e Abs. 2 Nr. 2 BGB die Aufklärung über die Risiken einer Operation so rechtzeitig zu erfolgen hat, dass der Patient seine Entscheidung über die Einwilligung wohlüberlegt treffen kann, ist nach Ansicht des HansOLG eine Einwilligung, die durch Unterzeichnung des Aufklärungsformulars unmittelbar nach dem Ende des Aufklärungsgesprächs erfolgt, im Regelfall unwirksam, weil dieser zeitliche Ablauf dem Patienten nicht die Möglichkeit eröffnet, den Inhalt des Aufklärungsgesprächs so zu verarbeiten, dass er sich wohlüberlegt entscheiden kann. Dies steht in einem eklatanten Widerspruch zu der gelebten und geübten Praxis in den Kliniken.
Nach Auffassung des OLG kommt auch eine konkludente Einwilligung nicht in Betracht: Die Annahme einer konkludenten Einwilligung des Patienten durch die spätere stationäre Aufnahme ins Krankenhaus wird regelmäßig daran scheitern, dass einerseits dem Patienten das für die Abgabe einer entsprechenden Willenserklärung notwendige Erklärungsbewusstsein fehlen wird und andererseits das Krankenhaus dem Verhalten des Patienten keinen Erklärungswert beimessen wird, solange beiden das Bewusstsein der Unwirksamkeit der Einwilligung fehlt.

Das OLG hat die Revision zugelassen – auf die Entscheidung des BGH wird gespannt gewartet. Aufgrund der besonderen Bedeutung dieser Entscheidung wird diese von Marcus Vogeler in der Zeitschrift für Medizinrecht besprochen (Vogeler, MedR 2022, 478).

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