Zwei Geburten, zwei Wünsche, zwei Haftungsfragen

Haftungsfragen

11.03.2022,

Orientierungssätze:

  1. Denn nur wenn die gewünschte sekundäre Sectio unter Berücksichtigung auch der Konstitution und der Befindlichkeit der Mutter in der konkreten Situation bei einer Betrachtung ex ante keine medizinisch vertretbare Alternative war, ist das Einlassen der Beklagten auf den Wunsch der Kindesmutter als behandlungsfehlerhaft zu bewerten (BGH, Urt. v. 4.2.2021 – Az. VI ZR 60/20).
  2. Der gebärenden Mutter als natürlicher Sachwalterin des ungeborenen Kindes ist es im Falle einer zumindest relativen Indikation zu einer anderen Entbindungsart indes unbenommen, das einmal festgelegte Entbindungskonzept zu ändern, wobei nach den allgemeinen Auslegungsregeln der §§ 133,157 BGB unter der erforderlichen Berücksichtigung des Empfängerhorizonts hierfür zu verlangen ist, dass der Behandlerseite ausdrücklich deutlich gemacht wird, dass nunmehr von dem ursprünglich vereinbarten Entbindungskonzept abgewichen werden soll (LG Hannover, Urt. v. 31.5.2021 – Az. 2 O 115/17).

Nachdem sich erst vor kurzem der BGH mit der Problematik der Haftung im Zusammenhang mit einer elektiven sekundären Sectio beschäftigen musste, befasste sich das Landgericht Hannover mit derselben Thematik mit umgekehrten Vorzeichen. Ausgangssituation der beiden Fälle ist eine begonnene natürliche Geburt, unter welcher durch die Gebärende der Wunsch nach einer Sectio geäußert wurde. Eine absolute medizinische Indikation für einen Kaiserschnitt lag in keinem der beiden Fälle vor. In dem Fall, den der BGH zu beurteilen hatte, wurde dem Wunsch der Gebärenden nachgekommen und ein Kaiserschnitt durchgeführt, bei dem es zu einer Uterusatonie kam. Die Gebärende verstarb noch in derselben Nacht aufgrund Multiorganversagens. Unter anderem hatte der BGH zu entscheiden, ob es fehlerhaft gewesen ist, dem Wunsch der Mutter nach einer Sectio nachzukommen.  Der BGH beantwortete diese Frage dahingehend, dass nicht nur der Wunsch der Mutter ausschlaggebend sei, sondern die medizinische Sichtweise: „Denn nur wenn die von der Kindesmutter gewünschte sekundäre Sectio unter Berücksichtigung auch der Konstitution und der Befindlichkeit der Mutter in der konkreten Situation bei einer Betrachtung ex ante keine medizinisch vertretbare Alternative war, ist das Einlassen der Beklagten auf den Wunsch der Kindesmutter als behandlungsfehlerhaft zu bewerten“. Mit anderen Worten: Der Arzt darf dem Patientenwunsch nicht entsprechen, wenn er aus medizinischer Sicht nicht vertretbar ist.

Die Geburtshelfer im zweiten Fall, der vom Landgericht Hannover entschieden wurde, kamen dem Wunsch der Gebärenden nach einer Sectio dagegen nicht nach. Stattdessen wurde die Geburt auf natürlichem Wege zu Ende gebracht, wobei es aber zu einer Schulterdystokie auf Seiten des Kindes kam. Es wurden verschiedene geburtshilfliche/geburtsmedizinische manuelle Interventionen unter der Geburt genutzt, etwa das McRoberts-Manöver. Das Kind trug einen bleibenden Plexusschaden davon. Das Gericht hatte somit nicht nur zu bewerten, ob das Nichtnachkommen des Wunsches nach einer Sectio einen Behandlungsfehler darstellt, sondern auch die Thematik der „gewaltvollen“ manuellen Hilfe unter der Geburt und den möglichen Zusammenhang mit Geburtsschäden. Das Gericht führte zunächst in Bezug auf die Dokumentation der geburtshilflichen/geburtsmedizinischen Interventionen aus, dass die Dokumentation „manuelle Hilfe“ ausreichend sei und keinen Dokumentationsmangel darstelle. Die Dokumentation diene der Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Behandlung und als Information des medizinischen Personals und nicht dazu, dem Patienten Beweise für einen späteren Arzthaftungsprozess zu verschaffen und zu sichern. Es fehle an der notwendigen Gewissheit, was als Ursache für die Plexusschädigung anzusehen sei und ob somit tatsächlich die erfolgten Interventionen für die Schäden ursächlich gewesen seien, so das Gericht. Nach den überzeugenden Ausführungen des Gerichtssachverständigen lasse sich zunächst kein Rückschluss aus dem Trauma des Klägers auf ein unsachgemäßes Vorgehen bei der Lösung der Schulterdystokie ziehen. Es gebe sich widersprechende Literatur über die Ursachen einer schweren Plexusschädigung bei einer Schulterdystokie, sodass es an einer notwendigen Gewissheit darüber fehle, dass nur eine (fehlerhafte) starke Gewalteinwirkung auf Kopf und Hals des Klägers als Ursache für die Plexusschädigung in Frage kommt. So werde beispielsweise diskutiert, inwiefern auch mütterliche Krafteinwirkungen zumindest einen Teil der bleibenden Armplexusschäden verursachen können und welche Krafteinwirkungen überhaupt eine Plexusparese auszulösen vermögen. Die Überwindung der Schulterdystokie war nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme behandlungsfehlerfrei bzw. diese ergab kein fehlerhaftes Vorgehen.

 

In Bezug auf die Frage, ob das Nichtnachkommen des Wunsches der Gebärenden nach einer Sectio einen Behandlungsfehler darstelle, führte das Gericht aus, dass ein solcher schon aufgrund der fehlenden medizinischen Indikation zu verneinen sei. Der Sachverständige erklärte während des Prozesses, dass die Angst der Gebärenden und der damit verbundene Wunsch nach einer Sectio immer dann beachtlich sei, wenn sich die Gebärende nicht mehr besänftigen lasse. Außerdem seien die Risiken der Sectio sowie die Problematik der möglicherweise unter der Geburt nicht mehr bestehenden Einwilligungsfähigkeit in diese Überlegungen mit einzubeziehen.

 

Beide Urteile zeigen, dass sowohl das Entsprechen des Wunsches nach einem Kaiserschnitt als auch ein Nichtnachkommen dieses Wunsches haftungsrechtliche Relevanz haben kann. Die Grenzen werden durch die Medizin selbst gezogen, nämlich durch die medizinische Indikation und durch den Begriff der medizinischen Unvertretbarkeit.

 

Nachweise:

BGH, Urt. v. 4. 2.2021 – Az. VI ZR 60/20 (m. Anm. Vogeler, GuP 2021, 154)

LG Hannover, Urt. v. 31. 5.2021 – Az. 2 O 115/17 (nicht rechtskräftig)

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