Beweiskraft

Beweiskraft

Wie heißt es immer so schön: Der Arzt muss das Aufklärungsformular „individualisieren“. Nur dann könne der Beweis der ordnungsgemäßen Aufklärung gelingen. Dies ist zwar grundsätzlich richtig. Ein individualisierter Aufklärungsbogen ist allerdings nur ein Indiz dafür, dass ein Gespräch stattgefunden hat, beweist für sich genommen aber noch nicht, dass über die Inhalte – auch die handschriftlichen – gesprochen wurde.

Dies wurde noch einmal verdeutlich in einem Fall, den das LG München zu entscheiden hatte und in dem der Arzt die handschriftlichen Ergänzungen größtenteils vor dem geführten Aufklärungsgespräch vorgenommen hatte. Das LG führt hierzu aus: „Hat der aufklärende Arzt handschriftliche Eintragungen im Aufklärungsbogen schon vor dem Aufklärungsgespräch mit dem Patienten vorgenommen, so kommt den handschriftlichen Eintragungen keine Indizwirkung dahingehend zu, dass der aufklärende Arzt den Patienten über die spezifischen Risiken auch tatsächlich mündlich aufgeklärt hat. Ein vorab ergänztes Formular hat gegenüber einem Formularvordruck ohne handschriftliche Anmerkungen keinen wesentlichen Mehrwert.“

Kurzum: Handschriftliche Voreintragungen sind gleichbedeutend mit dem vorgedruckten Text. Beweiswert haben handschriftliche Ergänzungen nur dann, wenn sie parallel – sozusagen als „Gesprächsprotokoll“ – vorgenommen werden.

LG München II, Urt. v. 08.06.2021 – 1 O 2310/19

Impfpflicht

Impfpflicht

Mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit einer Impfpflicht musste sich zuletzt das Bundesverfassungsgericht auseinandersetzen. Wenngleich die Impfpflicht in letzter Zeit vor allem im Zusammenhang mit der Coronaimpfung im Gespräch war, fehlte es diesmal an jeglichem Corona-Zusammenhang. Stattdessen ging es um die Frage, ob eine faktische Impfpflicht gegen Masern verfassungswidrig ist.

Am 10.02.2020 wurde mit § 20 Abs. 8 Infektionsschutzgesetz die Verpflichtung zur Impfung gegen Masern für Personen, die in bestimmten Einrichtungen tätig sind oder betreut werden, eingeführt. Unter diese Einrichtungen fallen auch Kindertagesstätten. Ein Besuch ungeimpfter Kinder wurde durch diese Regelung faktisch ausgeschlossen, sodass ein faktischer Ausschluss der Ansprüche auf Betreuungsleistungen nach § 24 Abs. 2 SGB VIII vorliegt. Nun hatten ungeimpfter Kinder sowie ihre Eltern diese Regelung durch Verfassungsbeschwerde angegriffen und darauf verwiesen, dass die Impfpflicht einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Grundrecht der Kinder auf körperliche Unversehrtheit und ihr Erziehungsrecht als Eltern darstelle.

Das BVerfG kam zu einem anderen Ergebnis und entschied, dass die Impfpflicht gegen die Masern verfassungskonform ist. Damit wies das BVerfG die Verfassungsbeschwerden der ungeimpften Kinder und ihrer Eltern ab. Der Erste Senat des BVerfG erkannte an, dass die Impfpflicht sowohl das Grundrecht auf elterliche Sorge aus Art. 6 GG als auch das Recht der beschwerdeführenden Kinder auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG berührte. Eine Impfpflicht sei jedoch verfassungsrechtlich nicht gleich Impfpflicht. Vielmehr sei das Ziel, welches mit der Impfpflicht erreicht werden könne, entscheidend für die Beurteilung. Die Wirkung der Impfpflicht ist somit der Maßstab für die Frage, ob solche Eingriffe gerechtfertigt sind. Anders als bei der Coronaimpfung, die keine Erkrankung oder eine Ansteckung Dritter verhindert, verfügt die Masernimpfung über diese Möglichkeit: sie verhindert bereits die Infektion und/oder die Ansteckung Dritter. Somit sei nicht nur der Schutz der Menschen, die durch eine Infektion gefährdet seien, sondern auch ein Schutz der Gesundheit Dritter durch die Impfung gewährleistet. Dem Gesundheitsschutz kommt somit eine höhere Gewichtung zu als den durch die Regelung erfolgende Eingriffe in die Rechte der ungeimpften Kinder und ihrer Eltern. Soweit sich die Frage stellt, ob eine Impfung nicht dem Selbstschutz der Eltern unterstellt werden kann, muss dies vorliegend verneint werden. Eine Eigenverantwortung reicht vorliegend nicht aus. Eine Maserninfektion kann tödlich verlaufen und wenngleich die Impfung eine Ansteckung und Infektion verhindert, gibt es vulnerable Gruppen, die sich aus medizinischen Gründen nicht gegen Masern impfen lassen können. Diese gilt es zu schützen, da es diesen Personen nicht möglich ist, sich selbst gegen die Ansteckung mit Masern zu schützen.

Soweit die Impfpflicht bis zu diesem Punkt noch als juristisch relativ unproblematisch angesehen werden kann, ergab sich jedoch ein durchaus großes Rechtfertigungsproblem in der Regelung des § 20 Abs. 8 S. 3 IfSG. Eine Impfpflicht ist demnach auch dann anzunehmen, „wenn zur Erlangung von Impfschutz gegen Masern ausschließlich Kombinationsimpfstoffe zur Verfügung stehen, die auch Impfstoffkomponenten gegen andere Krankheiten enthalten“. Faktisch handelt es sich somit nicht nur um eine Masernimpfpflicht, sondern auch um eine Impfpflicht andere Impfstoffe umfassend. Das BVerfG führte hierzu aus, dass die Regelung bei verfassungskonformer Auslegung so zu verstehen sei, dass nur solche Kombinationsimpfstoffe erfasst seien, die bei Erlass des Gesetzes bekannt waren. Neue Kombinationsimpfstoffe sind somit nicht von der Impfpflicht erfasst. Ob die Billigung einer faktischen Impfpflicht gegen andere Infektionskrankheiten tatsächlich richtig ist, kann kaum beantwortet werden. Fakt ist, dass jeder zusätzliche Wirkstoff bei Kombinationspräparaten zusätzliche Risiken bedeutet. Es stellt sich somit die Frage, ob nicht vielmehr die Verpflichtung der Herstellung eines einzelnen Impfstoffes gegen Masern die konsequentere Lösung gewesen wäre.

BVerfG, Beschluss vom 21.07.2022 – 1 BvR 469/20

Medizinisch notwendige Leistungen müssen auch dann vergütet werden, wenn falsche Daten an Eurotransplant weitergegeben wurden

Medizinisch notwendige Leistungen müssen auch dann vergütet werden, wenn falsche Daten an Eurotransplant weitergegeben wurden

Die Erinnerungen an den Göttinger Organspendeskandal dürften mittlerweile bereits am Verblassen gewesen sein – die juristische Aufarbeitung dauert jedoch bis heute an. Das Landessozialgericht Niedersachsen Bremen in Celle musste sich nun mit der Frage auseinandersetzen, ob medizinisch notwendige Leistungen auch dann vergütet werden müssen, wenn falsche Daten an Eurotransplant weitergegeben wurden.

Streitgegenständlich war die Rückforderung der Vergütung der stationären Krankenhausbehandlung durch die Krankenkasse. Die angerufenen Gerichte hatten somit zu entscheiden, ob das Fehlverhalten des behandelnden Arztes, der gegen das Transplantationsgesetz verstoßen hatte, einem Anspruch auf Zahlung der medizinisch notwendigen Transplantationen entgegensteht. Das Sozialgericht Hildesheim hatte zunächst der Krankenkasse Recht gegeben. Das Landessozialgericht entschied nun anders. Die Transplantationen seien medizinisch notwendig gewesen und nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt worden. Dies begründe bereits die Zahlungspflicht der Krankenkassen, da diese durch Inanspruchnahme einer Leistung durch einen Versicherten bei Durchführung entsprechender Versorgung in einem Krankenhaus entstehe. Ein Verstoß eines Arztes gegen Regelungen des Transplantationsgesetzes führe im vorliegenden Fall zu keinem Wegfall des Vergütungsanspruchs. Dabei stützte das LSG sich auch auf den Telos des Transplantationsgesetzes: dieses solle die Organspenden, dessen Ablauf und die Verteilung regeln und organisieren. Eine medizinische Qualitätssicherung der Transplantationen sei jedoch nicht vom Gesetz erfasst.

Nun bleibt es abzuwarten, ob sich auch das Bundessozialgericht mit dieser Frage befassen muss oder ob tatsächlich mit dem Urteil des LSG bereits die Antwort gefunden wurde.

LSG Niedersachsen, Urt. v. 18.01.2022 – L 16/4 KR 506/19.

Weiterführung des Beitrags Schlangengiftpräparats

Weiterführung des Beitrags Schlangengiftpräparats

Thematisch an den Beitrag „Schlangengift als alternative Behandlungsmethode zur Chemo in der letzten Ausgabe des Newsletters anschließend sollen nunmehr die bestehende Rechtsunsicherheit und deren Gefahren sowie der Reformbedarf des Rechts für Heilpraktiker beleuchtet werden.

In dem zugrunde gelegten Urteil vom OLG München wurde deutlich, dass nicht die heilpraktische Behandlung zu den medizinischen Problemen und Komplikationen führte, sondern vielmehr der Verzicht auf eine fachärztliche Behandlung. Als Erinnerung: Das OLG München hatte die Pflichtverletzung der Heilpraktikerin nicht in der Behandlung mittels eines Schlangengiftpräparats gesehen, sondern vielmehr darin, dass diese dem Abbruch der Strahlentherapie nicht widersprochen hatte.

Auch wenn diese Fallkonstellation keinen Einzelfall darstellt, so verbietet sich eine dahingehende Verallgemeinerung, dass die Gefahr nicht von der heilpraktischen Behandlung ausgeht, sondern von dem Verzicht auf die fachärztliche Behandlung. In einem anders gelagerten Fall stellte sich die Problematik nämlich gänzlich anders dar:

Im Nordrhein-westfälischen Brüggen war ein Heilpraktiker im Rahmen einer Krebstherapie in einem „Biologischen Krebszentrum“ tätig. Hier verabreichte er Patienten die nicht zugelassene Substanz 3-Bromopyruvat. Drei der Patienten verstarben im Zuge der Behandlung. Der Heilpraktiker wurde verurteilt, ein Berufsverbot wurde jedoch bis heute nicht ausgesprochen. Der Gesetzgeber hat auf diesen Fall insofern reagiert, als dass eine Änderung von § 13 AMG erfolgte. Nunmehr bedarf es einer Erlaubnispflicht zur Herstellung verschreibungspflichtiger Arzneimittel durch Nicht-Ärzte. Wenngleich der Gesetzgeber somit auf den damaligen Fall reagiert hat, berufsrechtliche Konsequenzen in Bezug auf die Ausübung des Berufs des Heilpraktikers erfolgten nicht.

Bei Betrachtung des Heilpraktikergesetzes geht der Blick weit zurück. Es trat 1939 in Kraft und schon der formelle Gesetzestitel lässt die Staubschicht erahnen, die sich immer deutlicher über das Gesetz zieht: „Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung“. Doch nicht nur die Sprache ist heutzutage ungebräuchlich und veraltet, auch inhaltlich kann das Heilpraktikergesetz den heutigen Anforderungen nicht mehr gerecht werden. Nimmt man etwa den Begriff der Heilkunde genauer unter die Lupe, der im Gesetz verwendet wird, fällt schnell auf, dass dieser unzureichend ist. Nach § 1 Abs. 2 HeilprG gilt als Ausübung der Heilkunde „jede berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen“. Blickt man nun im Vergleich auf die Medizin der heutigen Zeit und was davon erfasst ist, wird klar, dass dieser Heilkundebegriff nur ein unvollständiges Bild der Heilkunde bzw. Medizin umfasst. Gerade die Prävention, die aus der modernen Medizin nicht mehr wegzudenken ist, fehlt im Heilkundebegriff völlig. Fehlen tut es auch an einer vorgeschriebenen notwendigen Wirksamkeit des Heilmittels: würde man dies auf die Spitze treiben, wäre jede Tätigkeit zum Zwecke der Heilung unabhängig von dessen Geeignetheit eine erlaubnispflichtige Heilkunde. So konnte das auch das Bundesverfassungsgericht nicht stehen lassen und legte den Begriff restriktiv aus. Entscheidend war danach, ob für die Tätigkeit ärztliche Fachkenntnisse erforderlich waren und von dieser Gefahren für die Gesundheit ausgehen können (vgl. Beschluss vom 02.03.2004 – 1 BvR 784/03).

Was jedoch wieder unterblieb, war eine Reform des Heilpraktikergesetzes. Dabei ist diesem eine Relevanz keinesfalls abzuschreiben. Allein in Deutschland sind ca. 47.000 Heilpraktiker tätig. Von einem Gesetz, das in jeder Hinsicht veraltet ist, können somit durchaus großer Schaden und Gefahren ausgehen. Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hat 2020 Professor Dr. Christof Stock mit einer Begutachtung des Heilpraktikerrechts betraut. Die Liste der Mängel und Probleme war lang und mündete in der Schlussfolgerung, dass das Heilpraktikergesetz als inhaltslose Hülle am besten vollständig aufgehoben werden sollte und der Heilpraktikerberuf in der heutigen Version gleich mit. Stattdessen solle eine staatliche Ausbildung und Prüfung auf die verschiedenen Gebiete der Medizin und Heilkunde bezogen dem Schutz der Gesundheit dienen und die momentan bestehende fehlende Kontrolle der Kompetenz der Heilpraktiker ersetzen.

Wenngleich das BMG somit einen ersten Schritt hin zur Reformierung des Heilpraktikerrechts gewagt hat, ist der Stein dadurch mitnichten ins Rollen gekommen. Die Politik scheint sich nicht festlegen wollen – weder über die nächsten Schritte noch über die Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit den Ländern. Hier wartet nämlich ein ganz anderes juristisches Problem: auch wenn dem Bundesgesetzgeber die Kompetenz zukommt, Regelungen des Berufszulassungsrechts zu erlassen, so liegt die Kompetenz zur Regelung des Berufsausübungsrechts der Heilberufe den Ländern zu. Es hängt somit auch von deren Mitarbeit ab, ob und wann eine Reformierung des Heilpraktikerrechts erfolgt.

Schmerzensgeld nach ärztlichem Behandlungsfehler

Schmerzensgeld nach ärztlichem Behandlungsfehler

LG Hamburg, Urt. v. 19.05.2021 – 336 O 76/17

Infolge eines Behandlungsfehlers war es im vorliegenden Fall zu einer Amputation beider Unterschenkel gekommen – der Patientin wurde nun ein Schmerzensgeld von 170.000 Euro zugesprochen. Hintergrund war eine stationäre Behandlung der Patientin im Rahmen einer Herzoperation, welche erfolgreich verlief. Im postoperativen Verlauf wurde eine Thrombose-Prophylaxe durchgeführt, dessen Mittel die Patientin jedoch nicht vertrug. Trotz Schmerzen wurde die Unverträglichkeit erst Tage später erkannt. Infolge dessen kam es zu einer unzureichenden Sauerstoffversorgung in den Unterschenkeln, die letztlich in der Amputation beider Unterschenkel mündete. Die Klinik wurde nun zur Zahlung von Schmerzensgeld verurteilt sowie verpflichtet, für alle weiteren Folgen des Fehlers aufzukommen. Der Klinik angelastet wurde durch das Landgericht eine Unterlassene weiterführende laborchemische Diagnostik zum Nachweis einer HIT II in Form einer Bestimmung von PF4- Antikörpern. Die Klinikseite hatte eingewandt, dass die Patientin die für eine HIT-Diagnostik notwendige Blutabnahme verweigert hatte. Das Landgericht sah hierin jedoch keine entlastende Umstände. Die Verweigerung der Mitwirkung an einer medizinisch gebotenen Behandlung durch einen Patienten (Non-Compliance) vermag den behandelnden Arzt nämlich nur dann zu entlasten, wenn er den Patienten über die mit der Nichtbehandlung verbundenen Risiken ausreichend aufgeklärt hat. Dies war vorliegend aber nicht geschehen. Das Landgericht geht sogar von einem groben Behandlungsfehler selbst dann aus, wenn die Klägerin die Blutentnahme tatsächlich verweigert hätte, denn dann würde sich jedenfalls die unterbliebene Aufklärung der Patientin über die Konsequenzen einer entsprechenden Weigerung als grob behandlungsfehlerhaft darstellen (Verstoß gegen die therapeutische Aufklärung / Sicherungsaufklärung; vgl. 630c BGB).

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